Geschichte zum 20. Jubiläumstreffen

Eine humorvolle Geschichte unseres Pedersenfreundes Bodo Rengshausen-Fischbach über die Erfindung des Fahrrades und besonders des „Pedersenrades“:

Homo Mobilis pedersiensis

Der Mensch scheint ein Homo Mobilis zu sein. Immer in Bewegung, wenn es geht. Als Nomade seit Jahrtausenden immer dem Viehzeug hinterher, als Jäger immer dem Viehzeug hinterher und dann sesshaft, immer dem Pflug mit dem Viehzeug hinterher. Nicht nur anstrengend und ermüdend, sondern, wenn es sonst nichts anderes im Leben gibt, ätzend und trostlos. Kein großes Wunder also, wenn Menschen danach streben, möglichst schnell woanders hin zu kommen. Aber wie? Auf dem Rücken eines Esels oder eines Pferdes oder lieber auf Schusters Rappen- für all jene, die es einfach leid waren, schon wieder irgendwie mit dem Viehzeug unterwegs zu sein. Dabei hat sich gezeigt, dass der Mensch gar nicht so richtig für das Gehen auf zwei Beinen geschaffen ist. Mit Muskelkater, Blasen an den Füßen und dann noch allen Habseligkeiten auf dem Rücken kommt man nicht so recht voran.

Zeitsprung:

Tausende Jahre später und noch immer nichts passiert. Kein Wunder, wenn man nur an Wunder glaubt und die gibt es bekanntermaßen nur in der wundersamen Welt der Religionen. Da wird munter in den Himmel geflogen oder in die Hölle gerast, da werden ungeahnte Entfernungen überwunden und die Zeit gleich mit. Gilt auch für Märchen, die kleine niedliche Schwester aller Glaubensdoktrin.

Also schnell die Aufklärung erfunden, damit dann auch das Fahrrad erfunden werden konnte. Das Ding braucht gewiss im Himmel kein Mensch, aber als Vertriebene aus dem Paradies nunmehr in weltlichem Elend konnte auch Gott nichts dagegen haben, wenn der Mensch eine weitere scheinbar unnütze und unbrauchbare Erfindung den vielen anderen unnützen und unbrauchbaren Erfindungen hinzufügt. Ein Ding mit zwei Rädern, das umfällt, wenn man sich draufsetzt und ohne dass man sich draufsetzt, nur geschoben werden kann, doch dafür war es bekanntermaßen nicht gemacht. Wie komisch der Mensch darauf aussieht, zumindest aus göttlicher Perspektive. Draufsetzten, losfahren, lenken, treten und das alles gleichzeitig, das kann doch gar nicht gut gehen. Doch, geht. Obwohl jeder von uns sich blutige Knie und kaputte Hosen, kettenfettige Beine und aufgerissene Arme beim Radfahren als Zeichen unermüdlicher Ausdauer beim Versuch, oben zu bleiben, quasi wie Orden stolz auf sich nehmen musste, gab es doch nichts Schöneres auf die Frage, ob man Radfahren könne, zu antworten mit einem selbstbewussten: „Na klar, bin doch kein Baby“. Das Quietschen der Stützräder war noch nicht ganz verhallt.

Ein neuer homo mobilis war geboren. Aber wer nun meinte, Radfahren habe nur etwas mit kindlichem Bewegungsdrang zu tun, der irrte gewaltig, waren es doch mannhafte Ingenieure und furchtlose gestandene Frauen, die den Pferderücken gegen einen Ledersattel auf einem Bicyclette einzutauschen bereit waren und wie der Kabarettist Olaf Schubert pullunderverpackt treffenderweise Radfahren als veganes Reiten bezeichnete, diese veganen Ausritte gern auf sich nahmen.

Eigene Muskelkraft treibt mich voran, (das Pedelec verdränge ich hier erst einmal, kommt dann, wenn ich alt und klapprich bin), ich kann alles selbst reparieren, muss das Rad nicht füttern, nur ab und zu ölen. Es ist so genügsam, weder eifersüchtig, noch jemals beleidigt, es kommt bei jedem Wetter mit raus und wartet geduldig, manchmal sogar mehrere Jahre, bis ich mich ihm wieder zuwende.

Der einzige Wermutstropfen ist, dass es zuweilen mit Fremden mitgeht und nur selten zurückkehrt, deshalb muss man es schon an manchen Orten wie ein Pferd anbinden, aber das ist nichts gegen die Vorteile, die sonst für das Fahrrad sprechen.

So gibt es Räder für jeden: für Dicke und Dünne, Kleine und Große, Breite und Schmale, Langbeinige und Kurzatmige, für Schnelle und Langsame, für Alte und Junge, ja sogar für Männer und Frauen, unglaublich. Aber auch Räder gibt es in allen Variationen: dicke und dünne, schwere und leichte, große und kleine, bequeme und agile, schnelle und langsame, laute und leise, helle und dunkle, beliebte und unbeliebte, genau wie bei den Radlern.

Bis auf eine Ausnahme, wer hätte das gedacht?

So gibt es tatsächlich ein Rad, mit dem Vier nicht nach Lodz fahren, wie es einem Theo in einem alten Schlager dauernd verkündet wird, sondern mit dem Vier immer wieder von einem auf den ersten Blick recht trostlosen Ort am Steinhuder Meer in die Umgebung radeln, ohne dabei auch nur auf die geringste Aufmerksamkeit verzichten zu wollen.

Die Aufmerksamkeit allerorten ist nicht nur ihren ebenfalls auf den ersten Blick recht merkwürdigen Rädern geschuldet, sondern auch Ihnen selbst: da radelt unermüdlich ein Journalist, nein es ist nicht der Horst Schlemmer vom  Grevenbroicher Tageblatt, wie man annehmen könnte.

Den ich meine, der ist viel bekannter und radelt zu scheinbar äußerst gefährlichen Einsätzen, denn er ist immer in Begleitung eines Polizisten, der seit einigen Jahren seine Uniform gegen ein Undercover Outfit eingetauscht hat. Doch wäre die Tarnung so noch nicht perfekt. Damit der Journalist, wir nennen ihn der Einfachhalt halber Otto R., seinen wahren Namen dürfen wir nicht preisgeben, nicht als solcher erkannt wird, tarnt er sich als Streckenwärter einer wahrscheinlich schon längst stillgelegten Torfmoorbahn mit einer Balgenhupe, um den Eindruck zu erwecken, er wolle vor herannahenden Zügen warnen. Selbstverständlich fielen jedem Ortsunkundigen diese beiden merkwürdigen Gestalten auf ihren anachronistischen Fahrrädern, die seit 20 Jahren überwiegend im Landkreis unterwegs sind, sofort ins Auge. Aber diese beiden ausgebufften Figuren haben sich noch ein unglaublich geschicktes Ablenkungsmanöver ausgedacht, um nicht auf ihre wahre Mission, die bis dato niemand kennt und bis heute auch keiner zu erahnen scheint, hinzuweisen. In ihrer Begleitung befinden sich immer zwei elfenhafte, oft bunt gekleidete auffällige Damen, die ebenfalls, was jeden verwundert, auf jenen außergewöhnlichen Drahteseln unterwegs sind und jeden, der unvorsichtigerweise die eine oder andere Frage zu stellen gedenkt, was denn nun dieses Quartett dauernd im Ammerland auf ihren komischen Rädern zu erkunden habe, sofort und ohne Zögern in Grund und Boden quasseln, mal dezent und liebreizend, mal ausdauernd penetrant, mal einsilbig, mal ausufernd. Sie reden dann pausenlos von einem dänischen Ingenieur, schon längst tot, Melkzentrifugen, Hängemattensattel, guck mal, wackelt und ist ganz bequem, von Lenkerblumenvasen, norddeutschem  Pedersentreffen, 100 Leute oder fast, Tourenplanung, kauf dir auch son Rad, kannste auch mitmachen, also völlig wirres Zeug, das kein normaler Mensch versteht. Dass es sich bei ihren Namen Traute und Rita nur um Decknamen handeln kann, muss ich wohl kaum besonders erwähnen. Obwohl es beinahe so klingt, als seien sie von einem anderen Stern auf die Erde niedergeschwebt und hier auf außerirdischer Mission mit pedalgetriebenen Zweirädern unterwegs.

Welches Geheimnis diese Vier schon seit 20 Jahren in sich tragen, das herauszufinden, ist mir Lebensaufgabe geworden. Als ich das erste Mal von diesem Bad Zwischenahner Mysterium der vier Radler hörte, ließ es mir keine Ruhe mehr. Das Geheimnis wird gelüftet, sagte ich spontan zu mir selbst und zwar von keinem anderen außer mir, von wem denn sonst.

Da diesen vier geheimnisvollen Radlern nur näherkommen kann, wer ein ebensolches Fahrrad  sein eigen nennt, wie die vier es fahren, kaufte ich schnellstens ein Pedersen Fahrrad und war fortan dabei.

Jedes Jahr die gleiche Herausforderung, doch ich muss zu meiner Schande gestehen, das Geheimnis blieb mir bis heute verborgen. Und dabei bin ich nicht der einzige: nicht nur meine liebe Heike hat der Wunsch gepackt, hier endlich das noch immer geheimnisvolle Tun zu erklären, fast 100 andere Mitstreiter mühen sich ab, endlich Licht ins Dunkel zu bringen. Aber nichts zu machen. Jedes Jahr werden wir nicht nur an immer wieder verschiedene Orte geführt, sondern auch an der Nase herum.

Trotz zwischenahnzeitlich mehr als 1000 km auf dem Hängemattensattel, gefühlt sind es mindestens 10.000 km, sind wir alle keinen Millimeter weitergekommen, was die geheime Mission dieser Vier betrifft und dabei haben wir alles versucht: wir sind ihnen immer gefolgt, wohin sie uns auch führten, wir haben bei Sonne und Regen alles ertragen, wir waren freundlich und nett, sind früh aufgestanden, haben mit ihnen gescherzt und gelacht, haben uns immer wieder die gleichen Belehrungen vor den Ausfahrten angehört, haben uns wie religiöse Fanatiker ins Pedersenfieber gesteigert, die Nächte mit ihnen verbracht, sie betrunken gemacht.

Hat alles nichts geholfen, wir wissen so wenig als wie zuvor.

Doch in diesem Jahr haben sich die Vier für uns etwas ganz besonders Gemeines ausgedacht:

Folgt uns im Februar bei Eiseskälte mit Aussicht auf Gefrierbrand an den Händen und abgefrorenen Zehen auf euren Zweirädern ins Nirwana der Radfahrer, auch wenn es scheinbar in der Nähe der Arktis beheimatet sein sollte.

Wir, die wir das alle hier und heute auf uns genommen haben,
wir, die getreuesten euer Fahrradanhänger, lasst uns endlich teilhaben an eurem Geheimnis, was es auch immer sein mag. Wir wollen einfach nur wissen, welchem Ziel der als Streckenwärter verkleidete Journalist, seine polizeiliche Begleitung mit Decknamen Wilfried und die beiden geheimnisvollen radelnden Elfen an ihrer Seite seit 20 Jahren im Ammerland auf ihren Pedersens entgegenradeln.

Wir haben alles gegeben:

Wir können nicht mehr.

Wir sind am Ende unserer Kräfte.

Ihr müsst es uns jetzt endlich sagen. Bitte!

Aber halt, halt, ich glaube ich hab´s. Dass ich da nicht eher drauf gekommen bin. Es liegt doch auf der Hand. Man muss nur genau hinsehen.

Die Vier sind kein Stück älter geworden. Sie radeln einfach der Zeit davon. Die sehen alle noch so aus, als sei keine einzige Sekunde verstrichen.

Seit ich mich erinnern kann, sind sie nicht gealtert. Ihre Pedersens sind Zeitmaschinen, die die Zeit stillstehen lässt.

Das ist es. Das ist das Geheimnis. Und sie nehmen uns alle mit, damit auch wir so bleiben wie wir sind. Sie haben uns schon 20 Jahre geschenkt.

Dafür lohnt es sich auch, im Februar in die Pedersenpedale zu treten.

Euch vieren: Danke dafür!

copyright: Bodo Rengshausen-Fischbach

Dir, Bodo, und den übrigen über 80 Teilnehmern am 20. Norddeutschen Pedersentreffen vom 22. bis 24. Februar 2019 im wunderschönen, sonnigen Bad Zwischenahn im Herzen des Ammerlandes ein herzliches DANKESCHÖN von uns Vieren, Traute, Rita, Otto und Wilfried.